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Tag 6, Torellneset, Wilhelmøya, Bråsvellbreen

Tag 6 ohne Mobilfunk und Internet. Überraschung für die U30 Fraktion. Wir leben noch! 

 

Der heutige Tag war ein wenig wie eine emotionale Achterbahn. Der Blick aus dem Fenster gegen 7:00 Uhr verhieß schon nichts Gutes. Grau und windig kam der Osten Svalbards daher.  Es ist ziemlich diesig, zeitweise sogar nebelig, bei wechselndem Wind mit Stärke 7-8 und Wellengang von 3-4 Metern.  

Wie erwartet kam kurze Zeit später per Durchsage vom Kapitän die Absage der Walross-Pirsch. Er hatte Funkkontakt zu anderen Schiffen aufgenommen, die sich an der Ostseite von Nordaustlandet befanden. Die Wetterverhältnisse waren überall gleich schlecht. Die Enttäuschung war natürlich groß, doch Sicherheit geht nun mal vor. Die Eisbärenwächter hätten den "Ursus Maritimus" erst bemerkt/gesehen, wenn er quasi schon direkt neben ihnen stünde. Also keine Chance für eine sichere Anlandung in Torellnesset.

Schade, schade. Aber wir wollen nicht jammern, denn wir hatten bis hierher schon so viele tolle Erlebnisse. Und noch ist nicht aller Tage Abend (hört sich irgendwie witzig an bei 24h Tageslicht).

Dass er sehr flexibel reagieren kann, hat der Käpt'n ja schon bewiesen. Und natürlich hatte er auch heute noch ein Ass im Ärmel.

Die neuen Pläne gibt er um 08.15 Uhr bekannt. Das Wetter auf der anderen Seite der Hinlopenstraße = Westküste der Insel Spitzbergen, soll deutlich besser sein. Ziel war die kleine Insel Wilhelmøya im Bjørnsund. Wir haben 25 nm zu fahren, was einer Fahrzeit von rund zwei Stunden gleichkommt. Bedeutet für uns zunächst einmal: gemütlich zu Ende frühstücken.

Die Spirit nahm fast Full Speed = 17 Knoten die Überfahrt zur anderen Seite der Hinlopenstraße in Angriff. Das war bis dahin die höchste Schiffsgeschwindigkeit dieser Reise.

Die Anfahrt auf die Insel war eine Augenweide. Auf der Backbordseite (Links für Landratten) relativ graues Wetter mit tiefhängenden Wolken, auf der Steuerbordseite (Rechts f..L…..) eine sich ständig ändernde zerfledderte Bewölkung, die direkt über der Gletscher-Abbruchkante immer wieder für blauen Himmel sorgte und traumhafte Ausblicke produzierte.

 

Da in dieser geschützten Bucht auch der Wind keine wirkliche Rolle mehr spielte, wurden die Scouts mit einem Zodiac rausgeschickt, um die Gegend zu erkunden. Eine halbe Stunde später kam das positive Ergebnis der Erkundung und wir konnten uns fertigmachen für eine Jungfern-Anlandung. Auf Wilhelmøya hatte man bisher noch keine Anlandung gemacht. Sobald die Eisbärenwächter ihre Positionen eingenommen hatten, begann auch sofort die Ausbootung. Die Überfahrt mit dem Zodiac´s dauerte nur 5 Minuten. 

 

Nachdem wir einen kleinen Hügel erklommen hatten, gab es einen wundervollen Ausblick über die Bucht, mit der Spirit als “Sahnehäubchen” mittendrin.

 

Auch dieser “Spaziergang” bot uns wieder ein Beispiel, wie vielfältig die Flora der Arktis ist. Große Moosteppiche, viele kleine Blumenfelder und jede Menge Flechten als Futter für die Rentiere, die wir vorher in der Ferne gesehen hatten. Die Tundra, die wir dort vorfinden, ist recht feucht und dementsprechend reichhaltig, was die Vegetation angeht. Wir müssen aber drauf achten, dass wir die ganz feuchten Stellen mit feinem Boden meiden, an denen man zwar selbst vorwärts kommen kann, die Gummistiefel aber hinter einem zurückbleiben. Sie bleiben in dem Morast sofort stecken. Permafrost beginnt erst ab ca. 50 cm unter der aufgetauten Oberfläche.

Hartmut fand auch noch einen gut erhaltenen Oberkiefer, der vermutlich von einer Robbe stammte. Sie diente Wohl einem Eisbären als Mahlzeit. Von denen gibt es hier recht viele, wie wir später noch erfahren sollten.

 

Mit dieser Änderung im Tagesplan war natürlich auch alles andere über den Haufen geworfen. Und es sollte nicht die letzte sein.

Der Käpt’n wollte uns unbedingt in den Genuss der Walross-Pirsch bringen und es doch noch mal an der ursprünglichen Stelle in Torellnesset versuchen. Doch kaum hatte die Spirit nach einem 180° Turn Fahrt durch den Bjørnsund aufgenommen, kamen die Maschinen schon wieder zum Stillstand. Einer der Scouts hatte in ca. 500m Entfernung bei Kap Ravenstein eine Walrossherde friedlich am Ufer liegen sehen.

Warum die sich dort versammelt hatten hat laut des Biologie-Experten zwei Gründe.

Zum einen ist der Bjørnsundet offensichtlich eher ein Flachwassergebiet. Und deshalb finden Walrosse hier ihre Nahrung, die sie am Meeresboden suchen (z.B. Muscheln, Schnecken, Würmer), dabei aber kaum tiefer als 100m tauchen.

Zum anderen hatte es sich ein Eisbär oberhalb der Walrosse  gemütlich gemacht und beobachtete sein potentielles Mittagessen. Deshalb rücken Walrosse zum Schutz ganz eng zusammen.

Der Eisbär trollte sich aber wieder weg von seinem “Lunch” und legte sich ca. 1km entfernt zur Ruhe.

Wir haben ihn aber trotz der Entfernung mit vollem Zoom noch halbwegs gut "erwischt". Nur, bedingt durch seine Anwesenheit, war damit eine Walross-Pirsch aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich.

 

Eisbärwächter, Experten und der Kapitän gingen in eine kurze Beratung zur Risikoabwägung, dann kam die Durchsage, dass wir den Walrossen einen Besuch in Form eines Zodiac-Cruisings abstatten könnten.

Die Zodiacs wurden fix in Gruppen eingeteilt und sammelten sich zunächst in sicherer Entfernung des Ufers. Dann konnten immer 3 Boote im Konvoi mit der Anfahrt beginnen. Das hieß für die Bootsführer, gaaanz langsame Schleichfahrt am Strand entlang in etwa 30 Metern Entfernung von den Tieren. Die Außenborder liefen nur mit unbedingt nötiger Drehzahl fast im Leerlauf.

Für uns hieß es, absolute Ruhe im Boot, Kameraauslöser auf "Leise" gestellt und bloß keine hastigen Bewegungen irgendwelcher Art. 

Der Gipfel des Glücks war, dass sich einige Walrosse ins Wasser begaben und neugierig prustend zwischen den Booten umher schwammen. Hätten wir gedurft, ich glaube alle hätten laut los gejubelt. Mir war jedenfalls danach. In den Booten gab es nur strahlende Gesichter. Aber natürlich haben wir uns still verhalten, auch wenn es schwer fiel. Schließlich sollten die Zodiacs nach uns ja auch dieses einmalige Erlebnis haben.

 

Unsere ausgesprochen gelungene Erkundung der "Rückseite" der Wilhelmøya geht leider nach 45 Minuten zu Ende. Die Rückkehr zum Schiff bringt eine weitere Überraschung. Wir legen mit den Zodiacs an der ausgefahrenen Marina an - wieder ein neues Erlebnis!! Und wir feiern unseren "Entdecker-Tag" gleich entsprechend: Hotel Manager Christoph Timm und sein Team empfangen uns mit einem Glas Champagner direkt auf der Plattform.

Anschließend wurden 2 Decks höher noch bei strahlendem Sonnenschein Erfahrungen ausgetauscht, Bilder bewundert und noch das eine oder andere Gläschen geleert, um uns herum eine wunderschöne Natur. Was für eine Überraschung und was für ein Erlebnis!! 

 

 

Ach ja, der Eisbär!!

Der tummelte sich bei unserer Rückkehr immer noch am gleichen Platz, hob ab und zu den Kopf um Witterung aufzunehmen und wartete wohl darauf, dass diese seltsamen Kreaturen in Blau und Orange endlich verschwinden würden.

 

Den Gefallen hat der Kapitän ihm dann auch getan. Gegen 17:30 wurde der Anker gelichtet und die Spirit nahm Kurs auf die Insel Nordaustlandet und den dortigen Brasvellbreen Gletscher.

Brasvellbreen ist der südliche Teil der Austfonna Eiskappe und bildet innerhalb dieser ein eigenes Drainagesystem, in dem Eis verstärkt in Richtung Küste abfließt. Im Sommer bieten Wasserfälle, die über die 10-25 Meter hohen Eiskante ins Meer stürzen, ein ganz besonderes Naturschauspiel. Das Eiskliff ist durchgängig ca. 160km lang und somit die längste Gletscherkante der nördlichen Halbkugel.

Gern hätten wir uns dieses Schauspiel angeschaut. Der Plan war, mit dem Schiff für einige Seemeilen an der Gletscherkante vorbei zu fahren. Daraus wurde leider nichts, denn kaum hatten wir die Anker gelichtet, änderte sich das Wetter drastisch. Wie schon am Morgen zog innerhalb kürzester Zeit dichter Nebel auf, der das ganze Unterfangen sinnlos machte.

Somit gab es eine erneute Kursänderung in südliche Richtung zu unserem ersten Ziel morgen früh: Kap Lee / Edgeøya . Dazu morgen mehr.

Ich gehe jetzt ins Bett. Es ist inzwischen 00:37 Uhr. Draussen ist es trotz Nebel taghell. Da muss der dicke Vorhang vor dem Fenster mir wieder die Nacht vorgaukeln.

 

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