Tag 3 unserer Expedition - und der dritte Tag ohne Mobilfunk und Internet!! Zumeist bei den Jüngeren macht sich ein gewisser Unmut breit. Warum ist es eigentlich so schwer zu begreifen, das auf dem Packeis keine Mobilfunkmasten stehen??
Die "Polarnacht" macht mir ein wenig zu schaffen. Der Schlafanteil in den letzten 2 “Nächten” war eher marginal. Morgens um 2:00 Uhr fühlt es sich an wie an einem herrlichen Sommertag zuhause beim Nachmittagskaffee auf der Terrasse.
Da fällt es mir schwer, trotz Verdunkelung durch den Vorhang in den Schlaf zukommen. Lottchen hingegen legt sich zu normaler Schlafenszeit ins Bett und fällt innerhalb von ein paar Minuten quasi ins Koma. Aber gut, wir wollten es ja so, und ausschlafen kann ich nach unserer Rückkehr auch zuhause.
Auf unserer “nächtlichen” Fahrt in Richtung Packeisgrenze zog zum Morgen hin eine Regenfront durch. Die hatte sich dann schnell wieder verzogen, doch im Gegensatz zu gestern blieb es recht diesig. Zwar hellte es immer wieder mal auf, doch die Sonne kam leider nicht mehr richtig durch.
Wie vom Kapitän vorhergesagt, zeigten sich die ersten vereinzelten Eisschollen gegen 8:00 Uhr. Die HANSEATIC spirit hatte bereits eine nördliche Breite von 80° 35' erreicht, und querab treiben größere Eisschollen. Die polare Eiskappe kündigt sich an; sie kann nicht mehr weit sein. Noch während des Frühstücks bekamen wir die Bestätigung.
Die zusammenhängenden Eisflächen wurden immer größer und das Schiff “rumpelt” ganz ordentlich, wenn es aus den Eisschollen mit seinem wulstigen Bug “Crushed” Eis macht.
Immer mehr blaue Anoraks bevölkern den “Spirit Walk” genannten Umlauf direkt am Bug, und auch die höhergelegenen Aussichtspunkte auf Deck 8 und 9 sind trotz eines eisigen Windes und Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt recht schnell komplett besetzt.
Was dann folgte könnte man mit den Worten “Wild Ride” bezeichnen. Je weiter die Spirit nach Norden vordrang, umso dichter und kompakter wurde das Eis. Die Stärke der Eisschollen nahm mit jeder weiteren Seemeile zu.
Um 11:00 Uhr verkündete der Kapitän mit stolzer Stimme, dass die Spirit soeben die Position 80° Grad, 46’ Minuten nördlicher Breite passiert hatte und damit ein neuer Flottenrekord aufgestellt wurde. Zu dem Zeitpunkt befanden wir uns nur noch 1028 km vom Nordpol entfernt. So weit im Norden war noch kein Schiff von Hapag Lloyd. Gerne wäre der Kapt’n nach eigener Aussage noch bis zum 81. Breitengrad gefahren, doch das Packeis wurde immer dichter und leider auch das Wetter deutlich schlechter. Es kam Nebel auf, was in diesen Regionen durchaus gefährlich werden kann.
Damit kam Sicherheit vor Ehrgeiz und er hat schlußendlich die Maschinen gestoppt, als wir bei 80°Grad, 56,9’ Minuten nördlicher Breite nur noch 1006km vom geographischen Nordpol entfernt waren.
Eintrag im Logbuch:
Während unserer Eisfahrt hat die HANSEATIC spirit um 12:14 Uhr
die am weitesten nördlich gelegene Position auf unserer Reise überhaupt erreicht:
80° 56,9' Nord
Die letzten 6 “magischen” Kilometer will er dann beim nächsten Mal schaffen, wenn das Wetter mitspielt.
An dieser Position sind wir dann für ca. 45min geblieben. Erwähnenswert ist, dass wir ohne eigenen Antrieb bei gestoppten Maschinen mit dem Packeis innerhalb dieser Zeit noch 2,8km nach Westen gedriftet sind.
Die Fahrt aus dem Packeis zurück in die offene See ging aufgrund der schlechter werdenden Wetterbedingungen nur sehr langsam von statten. Das Eis war in starker Bewegung und türmte sich immer wieder neu auf. Mit vorsichtigen 7-8km/h ging es zunächst Richtung Westen. Dort hatte die Brücken-Crew im Radar eisfreie Stellen gesehen, die es erlaubten, das Schiff sicher zu drehen und dann mit einem südöstlichen Kurs wieder in Richtung Spitzbergen zu fahren. Immer schön langsam, damit der verstärkte Bug der Spirit die sich auftürmenden Eisschollen teilen und diese vom vorderen Rumpfteil auseinander geschoben werden konnten. Ein äußerst interessantes “Schau-und Hörspiel” kann ich Euch sagen.
Nachdem wir das Packeis hinter uns gelassen hatten, konnte die Spirit wieder Fahrt aufnehmen und unser Ziel für die Nacht, den Woodfjord im Norden von Spitzbergen, ansteuern. Während des Abendessens kamen schon die ersten Berge und Gletscher des Fjords in Sicht. Hier wird die Spirit über “Nacht”, wie Kapitän Engeldrum es ausdrückte, gemütlich auf- und abfahren, denn bei 170m Wassertiefe ist es nicht möglich sicher zu ankern.
Das Wetter hatte sich wieder deutlich gebessert, sodass wir nach dem Abendessen und dem obligatorischen Absacker noch ein paar Runden über Deck 8+9 drehen und diese unglaubliche Atmosphäre der Polarnacht aufsaugen konnten.
Dass wir auf dieser Reise wohl von einem Glücksengel “geküsst” worden sind habe ich ja schon erwähnt. Der hatte auch heute wieder eine Überraschung in petto, denn er servierte uns quasi zum Dessert noch einen Wal, der im Fjord einsam seiner Wege schwamm.
Zugegeben, er war ziemlich weit weg, doch es gelang mir, mit allem was der Zoom der Kamera hergab, ein paar halbwegs brauchbare Fotos von ihm und seiner Fluke zu bekommen. Das Ganze passierte übrigens kurz vor Mitternacht. Aber wie gesagt, hier wird es zur Zeit nicht dunkel.
Inzwischen ist es bereits Samstagmorgen 00:30 Uhr, draussen ist es taghell und die Sonne scheint. Ich werde nun den dicken Vorhang vor das Fenster ziehen. Aber ob der die Emotionen in meinem Kopf nach den Erlebnissen heute dämpfen kann ist mehr als fraglich. Aber vielleicht gelingt es mir ja doch, heute Nacht etwas mehr Schlaf zu bekommen.
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